Das im ersten Buch über die Gesetze begonnene Gespräch von Cicero, seinem Freund Atticus und dem Bruder Quintus überschritt schnell den Rahmen der ursprünglichen Frage nach dem Zivilrecht. Eine Darstellung der einzelnen Rechtsvorschriften und Normen genügt dem praktisch-politischen Bedürfnis nach einer objektiven Ordnung, dennoch eröffnet sich mit dieser Ordnung auch die Frage nach dem Geltungsgrund der Gesetze. Der Hinweis auf die faktische Existenz der Gesetze beantwortet diese Frage dann nicht, wenn man ihr einen tieferen begründungstheoretischen Sinn zuschreibt.

Cicero führt über die besondere Stellung des Menschen im Ganzen des Kosmos ein grundlegendes Argument ein, das die äußere Wirklichkeit um die Wirklichkeit des Geistigen erweitert. Diese Annahme ist durch die sinnliche Wahrnehmung nicht zu erschließen. Gleichwohl benötigt aber bereits auch schon die wahrgenommene Sinnlichkeit nicht-sinnliche Kategorien wie Raum, Zeit und Kausalität, um erkannt zu werden. Damit beginnt die eigenständige Denkleistung des Menschen. Für Cicero – wie auch für Platon – steht die unendliche Kraft wie auch der Umfang der übersinnlichen Wirklichkeit außer Frage. Cicero bleibt skeptisch in der Methode, in der Sache kann für ihn jedoch kein Zweifel an der Existenz einer vernünftigen Seele bestehen. Diese Seele ist kein isoliertes Atom, sie ist nicht unverbunden mit anderen oder verlassen von der Welt. Die Seele ist Träger der Vernunft und durch die Vernunft verbindet sich die Seele mit dem Reich des Göttlichen.  

Daraus resultiert, dass der Mensch zum einen eine körperliche Form besitzt, die aber im Wesentlichen beseelt ist. Mit der physischen Erscheinung ist der Mensch gebunden an das irdische Leben, die Arbeit, dem Stillen der Bedürfnisse und dem Wachsen seiner Kräfte. Aber eine rein materialistische Abfolge von Funktionen des Lebenserhaltes würde eben nicht die Vielfalt der kulturellen Reichtümer, die Erfindungen, die großen Taten und die Sehnsüchte der Menschen erklären. Welchen Zweck hätten Statuen, Tempel oder Bücher, wenn sie unnötig wären im Laufe der physischen Entwicklung?

Ein Bild des Menschen ohne besondere Begabung mit der Vernunft und ohne Wirksamkeit einer Seele wäre durchaus vorstellbar, gleichwohl bliebe diese Vorstellung leer, trostlos und sinnlos. Der Mensch wäre reduziert auf eine – wenngleich komplizierte – Abfolge von Funktionen. Der Mensch wäre eine komplexe Maschine, aber nur eine Maschine. Eine menschliche Würde wäre so nicht mehr argumentativ zu sichern.

Dagegen erhebt die Philosophie Einspruch, nicht mit einzelnen Beweisen, sondern mit dem Gesamtbild des Menschen. Mit dieser so formulierten Idee des Menschen ist verbunden die geistig-seelische Dimension.

Die Gemeinschaft der Vernunft mit den Göttern erhebt die Menschen zu etwas Besonderem. Diese Ideen stehen jedoch auch unter der Notwendigkeit der Begründung. Wieso soll der Mensch an der Vernunft des Göttlichen teilhaben? Wozu dient die Vernunft? Diese Fragen führen dann – im Laufe der Darstellung – zu der platonischen Ideenlehre. Damit ist ein Argument benannt, aus dem sich andere Argumente ableiten lassen, das aber selbst voraussetzungslos ist: Der Anfang der Philosophie ist gemacht mit der Idee des Guten. Ihre Erkenntnis und das Streben nach ihr dienen keinem anderen Zweck – sie ist Ziel des guten Handelns. Ein Handeln ist dann gut, wenn es sich an der Idee des Guten messen lassen kann. Es ergibt sich für die moralische Beurteilung, dass die Nützlichkeit einer Handlung eben kein Kriterium für eine gute Handlung ist. Die Idee des Guten ist rein, sie kann nur mit einem klaren Denken erfasst werden. Dieses Denken ist für Cicero in einer Philosophie gegeben, die die Gemeinschaft der Vernunft und die Würde der Seele anerkennt.

Cicero bleibt Staatsmann, Redner und Anwalt, sein Denken reflektiert jedoch die Kraft eines mutigen Denkens, das sich auf die Sache selbst vorbehaltslos einlässt und die Gedanken aus sich heraus entwickelt.

Marcus Tullius Cicero De Legibus – Erstes Buch

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