Die folgenden Überlegungen von Cicero finden vor dem Hintergrund der argumentativen Begründung und Sicherung des Staates ihre Berechtigung. Im Zweiten Buch wurden die religiösen Handlungen, Symbole und Vorschriften vor dem pragmatischen Bezug auf das Gemeinwesen erläutert. Die römische Religion ist keine sentimentale Erbauungstheologie, die in der vom Menschen entlegenen Transzendenz fundiert ist. Vielmehr greifen die Götter auch durch die Bekundung ihres Willens in den konkreten politischen Prozess ein.
Die republikanische Verfassung benötigt jedoch neben der ideellen Verankerung eine verfassungsrechtliche Form, in deren normativ bestimmten Raum die konkrete Politik durchgeführt wird. Der neuzeitliche Begriff der Verfassung leitet sich von constitutio, einer festen Ordnung ab. Obgleich dieser rechtsphilosophische Begriff in der Römischen Republik nicht benutzt wurde, wurde in der Sache mit der Magistratsordnung und dem staatspolitischen Gewohnheitsrecht des mos maiorum die wesentliche Einsicht jedoch benannt: Die Republik benötigte objektive Strukturen, innerhalb derer Kompetenzen, Akteure und Interaktionen klar und eindeutig festgelegt waren. Mit dem Naturrecht, einer Form des Vernunftrechtes, wurden bereits vorstaatliche Rechte benannt, die als Vorläufer der Menschenrechte anzusehen sind. In der politischen Praxis rückten nun die Magistrate in den Vordergrund. Sie gelte es nach Cicero nun im Dritten Buch darzustellen.
Cicero bekennt seine philosophische Nähe zu Platon mit den Worten: „Ich werde also, wie ich es mir vorgenommen habe, jenem göttlichen Mann folgen, den ich, weil ich ihn bewundere, vielleicht häufiger lobe, als es nötig ist.“ ( Leg. III, 148).
Atticus ergänzt diese Aussage mit dem Hinweis, dass Cicero von Platon sprechen würde, und Cicero bestätigt dies. Dies darf nicht nur als höfliche Referenz gedeutet werden, sondern ist als Dank zu verstehen. Alfred North Whitehead brachte diesen Dank später ebenfalls auf den Punkt, als er die abendländische Philosophie als Fußnote zu Platon beschrieb.
Damit beginnt auch zugleich die Diskussion. Cicero benennt die zentrale Aufgabe des Magistrats – an dieser Stelle werden die einzelnen Ämter wie Quaestor, Praetor, Aedil und Konsul noch nicht unterschieden – mit dem gesellschaftlichen Führungsaspekt, der aber bereits im gleichen Satz mit dem Richtigen, dem Nützlichen und dem den Gesetzen Entsprechenden näher bestimmt wird. Damit wird eine, nur von persönlichen Motiven geprägte Amtsführung zurückgewiesen. Die Kriterien der Richtigen, des Nützlichen und der Gesetzesentsprechung unterliegen einer Interpretation und erlauben sicher eine Bandbreite verschiedener Handlungen, aber – und dies ist entscheidend – sie unterliegen damit einer vorhergehenden oder nachhergehenden Rechtfertigungspflicht. Die Führung der Magistrate ist nur dann legitim, wenn sie sich diesen Anforderungen unterwirft. Mit anderen Worten: Die Magistrate müssen im Rahmen der Gesetzes- und Verfassungsordnung handeln. Dies unterstreicht der nächste Satz: „Wie nämlich über den Magistraten die Gesetze stehen(…)“ (Leg III, 148). Die Magistrate wiederum stehen über dem Gesamtvolk, somit sei das Verhältnis von Gesetzen zu den Magistraten in Analogie zu sehen zu dem Verhältnis von den Magistraten zu dem Volk. Gleichwohl entscheidet das Volk über die Gesetze, so dass letztlich das System eine ideelle Selbstregierung des Volkes vermittels der Gesetze und der gesetzesgebundenen Magistrate ist.
Aus dem Naturrecht ergibt sich für Cicero, dass Herrschaft gegeben ist: „(…) Führung und Herrschaft, ohne die weder ein Haus noch eine Bürgerschaft noch ein Volk noch die gesamte Menschheit noch die Schöpfung noch der Kosmos als solcher bestehen kann.“ (Leg III, 151). Die damit zum Ausdruck gebrachte Einsicht einer bestimmten Ordnung steht aber unter dem Erfordernis einer guten Herrschaft. Wie die spätantiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Erfahrungen erweisen, tendiert vor dem realistischen Bild des egoistischen Menschen eine nicht-rechtsstaatliche Herrschaft zur offenen oder heimlichen Unterdrückung anderer Menschen. Eine rechtlich ungebundene Herrschaft ist für Cicero weder moralisch vertretbar noch politisch stabil oder philosophisch erwünscht. Die höchste Verpflichtung des Staates zu einer guten Herrschaft resultiert aus der Unterordnung unter die Weisungen des höchsten Gesetzes. Diese Einsichten führen bis in die gegenwärtigen Verfassungsdiskussionen. Ernst-Wolfgang Böckenförde erinnerte mit seiner Einsicht daran, dass der freiheitliche Staat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren könne. Cicero konnte diese Erkenntnis bereits aus der Erfahrung verschiedener Staatsformen antizipieren, Ciceros argumentative Strenge und Klarheit in der Sicherung des Rechtsstaates ist eine rechtsphilosophische Konsequenz aus dieser Erfahrung.
