Die Ausführungen Ciceros über die religiösen Gesetze lassen sich so zusammenfassen:

  • Angesprochen wird stets eine Mehrzahl von Göttern.
  • Es geht um eine Begegnung des Menschen und seiner reinen Seele mit den Göttern.
  • Die Verehrung der Götter entstammt der Tradition.
  • Den Göttern gleichgestellt sind jene, die sich ihre Verehrung verdienten.
  • Es gibt einen definierten Rahmen bestimmter Handlungen.
  • Die Götter sind durch Opfergaben zu beeinflussen.
  • Der Wille der Götter ist durch Dolmetscher, den Auguren zu erfahren und zu besänftigen.
  • Die Auguren entscheiden über ungerechte Handlungen, beteiligen sich an den Verträgen über Krieg, Frieden und Waffenstillstand.
  • Staatliche Priester können Taten entsühnen.
  • Öffentliche Veranstaltungen sollen göttliche Mächte verehren.
  • Bestimmte Straftaten werden auch durch die Götter verurteilt.
  • Gelübde werden vor den Göttern abgelegt.
  • Private Kulthandlungen bleiben erlaubt.
  • Gute Menschen sind nach ihrem Tod als Götter zu betrachten, die Trauer um sie soll begrenzt bleiben. (Vgl. Leg II, 91 ff).

Diese Punkte, die im Laufe des Dialoges weiter präzisiert werden, umfassen im Prinzip den ganzen Umgang mit den Göttern. Es handelt sich dabei nicht um eine monotheistische Weltsicht, in der eine grundsätzliche Distanz das Natürliche vom Göttlichen trennt. Vielmehr geht es um eine Begegnung des Menschen, die sich sogar zu einer Erhebung des Menschen zum Göttlichen verstärken kann, sofern der Mensch im Leben gut handelte. Das Verhältnis ist also im Wesentlichen nicht transzendent, sondern auf den Austausch angelegt. Die Götter tun ihren Willen bewusst kund und können durch entsprechend ausgebildete Auguren verstanden werden. Dabei beschränkt sich die Kommunikation nicht nur auf die einseitige Beachtung des Willens der Götter, sondern die Götter bewirken auch den verbindlichen Geltungsgrund völkerrechtlicher Verträge. Ähnlich ist ihre Bedeutung als Garant der Befolgung von Gelübden zu verstehen. Gewissen Vergehen werden als Vergehen gegen ihre Ordnung verstanden.

Durch das Einräumen der Möglichkeit privater Kulthandlungen sind die zwingenden Erfordernisse zum Umgang mit den Göttern jedoch beschränkt. Ein individueller Raum des freien Umganges bleibt den Menschen eröffnet. Es geht daher weder um eine absolute Kontrolle des sozialen noch des individuellen Lebens. Die Menschen bleiben zwar aufgefordert, sich den Göttern zu nähern, aber die Anlässe sind prinzipiell begrenzt.

Diese Normen stehen im Verhältnis zu den berechtigten Erfordernissen des Gemeinwesens. Die Regelungsbereiche und die Intensivität der religiösen Vorschriften sind daher beschränkt. Auch wenn den Göttern eine vorstaatliche Bedeutung eingeräumt wird, so bleibt der Mittelpunkt des Handelns in der politischen Gemeinschaft. Religiöse Regelungen stellen die Grundstruktur dar, innerhalb derer dann die konkrete Politik der Republik stattfindet. Sie ermöglichen die Freiheit dadurch, dass sie ideellen Voraussetzungen für die staatliche Verfassung bereitstellen.

Marcus Tullius Cicero De Legibus – Zweites Buch – 6. Grundsätze des Umgangs mit den Göttern

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