Das Gespräch im zweiten Buch über die Gesetze findet weiterhin während eines Spazierganges zwischen Cicero, Atticus und Quintus statt. Bislang gingen die Teilnehmer am Fluss entlang, nun aber schlägt Atticus vor, dieses Gespräch auf einer Insel fortzuführen. Ein Fluss, der die Insel umströmt, sei der Fibrenus, so dass die Lage auch heute noch in der Stadt Arpino bestimmbar ist. Cicero stimmt diesem Vorschlag mit einem Gefühl der Zufriedenheit zu, denn er schätze den Ort als Ort der Muße.
Wie nun das erste Buch über die Gesetze mit einem scheinbar fern liegenden Thema, dem der unterschiedlichen Interessen von Geschichtsschreibung und Literatur, begann, um dann doch eine andere Wendung zu nehmen, so wird nun der Begriff der Heimat diskutiert. Die damit verbundenen Gedanken beziehen sich freilich auf die Bewegungen und Regungen der Seele, die eine auch lokale Heimat kennt.
Atticus spürt den Reiz der wilden Strömung, er setzt sie in Kontrast zu den spektakulären Villen mit Fußböden aus Marmor. Das Künstliche steht dem Natürlichen nach. Damit ist der argumentative Anschluss zu der vorhergehenden Diskussion erreicht: „Und wie Du vor kurzem während deiner Erörterungen über das Gesetz und das Recht alles auf die Natur bezogst, so herrscht auch gerade in den Dingen, die man zur Beruhigung und zur Freude der Seele sucht, die Natur.“ (Leg II, 71).
Der Umfang der Bedeutung der Natur wird wesentlich erweitert, sie hat nicht nur begründungstheoretische Bedeutung für die Sicherung des Rechtsbegriffes, sondern sie strahlt in das konkrete Leben der Menschen aus, deren Seelen von der Last des Alltags beschwert durch den Rückzug in die Natur Befreiung und Freude erhalten. Die Seele erfährt im Umgang mit den Angelegenheiten des Lebens Sorgen und Ängste, sie ist also nicht isoliert in sich zurückgezogen. Cicero hatte diese Erfahrung Atticus bereits erwähnt, denn gerade vor der nun gemachten Erfahrung versteht er nicht nur die Worte Ciceros, sondern auch dessen Gefühl.
Cicero, von der Arbeit in Rom gebunden, sucht diese Gegend, so oft es seine Verpflichtungen zulassen, auf. Es sei gerade die Schönheit und die Heilkraft dieser Landschaft, die ihn anziehe. Neben der objektiven, äußerlichen Gestaltung einer Landschaft ergibt sich für den Menschen eine andere Dimension. Die Schönheit und Heilkraft sind zwei Begriffe, die sich beide auf das Wesentliche der Seele zielen: innere Ruhe.
Gleichwohl erwähnt Cicero aber noch einen anderen Grund, aus dem sich der Reiz der Landschaft herleitet. Es ist der Begriff der Heimat. Arpinium sei seine eigentliche Heimat. Damit erwähnt Cicero als erster einen Begriff, der die Existenz des Menschen wesentlich betrifft, als Ort einer inneren Zugehörigkeit. Der Mensch, gleichwohl durch die Seele an den Kosmos gebunden, hat einen weiteren Bezug:
„Wir stammen nämlich von hier aus einem uralten Geschlecht, hier ist alles, was uns heilig ist, hier kommen wir her, hier sind viele Spuren unserer Vorfahren.“ (Leg II, 73).
Dies führt dann zu dem inneren Gefühl einer besonderen Zugehörigkeit, ein unbestimmtes, aber sehr intensives Gefühl. Auch jener kluge Mann, gemeint ist Odysseus, habe sogar die Unsterblichkeit ausgeschlagen, um nach Ithaka zurückzukommen. (Vgl Leg II, 73).
Atticus ist Cicero sehr dankbar, ihm dasjenige gezeigt zu haben, was ihn selbst sehr prägte. Das Gespräch erfährt aber durch Ciceros Benutzung des Wortes eigentlich eine neue Vertiefung. Atticus möchte wissen, was dieses Wort auf sich habe, denn es impliziert eine andere Heimat. Habe Cicero gar eine doppelte Heimat? (Vgl Leg II, 75).
Genau dem stimmt Cicero nun zu: es gäbe eine natürliche und eine politische Heimat. Natürlich sei die, die sich aus der Abstammung und der Herkunft ergäbe. Sie könne man nicht wählen. Der Geburtsort ist eine unveränderbare Tatsache. Doch höher stände die politische Heimat in einer Bürgerschaft, von der man aufgenommen wurde. Cicero formuliert verschiedene Ebenen, die, wenn sie gleichfalls als eine Bürgerschaft betrachtet werden können, doch auch einzeln Bedeutung haben.
Diese politische Heimat ist Ausdruck der Ideen, denen man sich zugehörig fühle. Die zweifache Dimension des Menschen als die eines körperlichen Wesens der Natur und die eines geistigen Wesens erfährt in der doppelten Heimat eine persönliche Komponente, in der sich das Besondere des Menschen manifestiert. Letztendlich ist die dualistische Struktur des Menschen – Natur und Geist – nicht auflösbar oder ineinander überführbar. Beide Aspekte haben ihr Recht, in dem harmonischen Zusammenwirken erlebt sich der Mensch in seiner Ganzheit.
