Im ersten Auftreten war das philosophische Nachdenken unbeschwert, von kühnen Gedanken getragen und mutig. Dieser Beginn liegt bei den ionischen Naturphilosophen, die, die Schönheit des Lebens reflektierend, den natürlichen Kräften eine schöpferische Macht zuschrieben. Auch wenn die damit herangezogenen Erklärungen der griechischen Naturphilosophen uns heute als naiv erscheinen, der Versuch des Erklärens alleine war und ist das Wesen der Philosophie. Damit ist ein Blick hinter den Horizont des sinnlichen Lebens gemeint, der das Wirkliche eben nicht nur als ein zufälliges Dasein gelten lässt. Anaxagoras schritt nicht nur weiter, sondern machte einen Sprung: Hinter den Entwicklungen des Kosmos, dem wohlgeformten Schönen, wirkt der unbewegte nous, eine Vernunft: “Der Geist ist als einziges mit keiner anderen Sache vermischt, daher existiert nur er für sich selbst. Er ist unendlich und herrscht selbständig.“ Damit war die einseitige Betonung einer materiellen Welterklärung überwunden. Was Grundlage und Prinzip des Kosmos war, konnte nicht ein Teil des Kosmos selbst sein. Nicht die konkreten Antworten also sind das bleibende, obwohl die Breite und Tiefe der unterschiedlichen Ansätze uns auch heute noch atemberaubend erscheinen. Was aus dieser frühen Zeit der ersten philosophischen Ansätze bleibt, ist vielmehr die leidenschaftliche Kraft, der Wille zur Erkenntnis, die Dynamik der Gedanken und die Offenheit der Meinungen.

Dies konnte jedoch nur in einer besonderen Form gelingen. Diese Form war seit den platonischen Gesprächen der Dialog. Platon, ein Schüler des Sokrates, überlieferte philosophische Gespräche bewusst in der Form des Dialogs. Die Inhalte über den Staat, die Gerechtigkeit, die menschliche Seele hätten durchaus auch in einer monografischen Form dargestellt werden. Doch ein Lehrbuch ist eine abgeschlossene Abhandlung, sie beengt die Gedankenführung durch ihre feste Struktur, lässt keinen Raum zur spontanen Abweichung, zum Umweg. Viel offener gestaltete sich ein Gespräch unter Menschen. Außerdem wirkte Sokrates in der athenischen polis, für ihn war die Öffentlichkeit des Gesprächs eine notwendige Vorbedingung für jede Philosophie. Sein Denken stand im Dienst des Gemeinwohls, obwohl er sich nicht dogmatisch belehrend verhielt, betrachtete Sokrates jeden Menschen als vernunftbegabt, um sich auf den gleichen Weg zu begeben. Darum ging es ihm wesentlich, den Weg des Denkens zu eröffnen. Sokrates blieb in jeder Diskussion offen, er wollte überzeugt, nicht überredet werden. Mit gezielten Fragen, die jedoch seinen Gesprächspartner nicht viel Platz für eigene argumentative Ausführungen ließen, wagte er das Denken. Diese Gespräche waren daher als Dialoge angelegt, oftmals waren die Wege lang, kamen überraschend auf den Punkt und führten zu neuen Einsichten der auch vorher von ihren Meinungen überzeugten Gesprächspartnern. Der erste, und vielleicht wichtigste Schritt in die Philosophie ist es, Gedanken in angemessene Worte zu übersetzen. Platon hatte diese Form der philosophischen Diskussion zur künstlerischen Vollendung geführt.

Demgegenüber griff der römische Politiker, Redner und Philosoph Marcus Tullius Cicero die dialogische Form auf, behandelte die gleichen Themen wie Staat, Gerechtigkeit und die Gesetze, jedoch unter römischer Perspektive. Die Untersuchungen standen unter der Aufgabe, den römischen Staat in seinen Prinzipien und seiner konkreten Verfassung zu rechtfertigen. Die Philosophie hatte daher eine eher praktische Aufgabe. Daher näherten sich die Dialoge von Cicero den gleichen Fragen unter einer wirklichkeitstreueren Herangehensweise: Historisch schon damals belegbare Personen, wie Titus Pompeius Atticus, Ciceros lebenslanger Freund, Quintus Cicero, sein Bruder, und Marcus Tullius Cicero treten im Dialog De Legibus auf. Der Leser erfährt eine geradezu überwältigende Reise in das Jahr 51 v. Chr. Die drei Männer diskutieren über das Wesen der Gesetze, als sie am Liris, einem Fluss in Ciceros Heimat Arpinium spazieren gehen. Dort bewunderten sie eine legendäre Eiche, betrachten ihr Alter und überlegen, wie lange sie die Zeit überdauern wird. Diese Gesprächssituation, obgleich sie so nicht stattgefunden hat und nur eine schriftstellerische Fiktion sein mag, ist durch die innere Zuneigung der Gesprächspartner geprägt, kritischen Nachfragen und tiefen Überlegungen. Es gelingt Cicero besonders in den Dialogen De re publica und De legibus die grundlegenden Fragen so treffend zu formulieren, dass sie auch in dieser Form heute weiterdiskutiert werden können. Damit zeigt sich Cicero, vielmehr als Platon, als in der Sache offen, ihm geht es vor dem Hintergrund der politischen Notwendigkeit um Klarheit. Diese Klarheit resultiert aus Wahrheit, Wahrheit aber ist kein abschließendes Ziel, sondern ein offener Prozess, der auch dem Gegner zubilligt, richtige Gedanken auszusprechen. Damit ist der Ansatz von Cicero, skeptisch gegenüber endgültigen Wahrheiten, sehr viel freiheitlicher, denn er rückt die Freiheit der Entwicklung in den Mittelpunkt. Mit Cicero findet so die dialogische Unterhaltung eine besonders gelungene Ausführung. Philosophie bleibt nicht unverbindlich, sie stärkt die Kraft der Argumente und greift auf die Vernunft zurück.

Philosophie als dialogisches Verstehen

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