Gesetze stellen eine verbindliche Handlungsnorm dar. Diese regulative Funktion bezieht sich auf das äußere soziale Verhalten der Menschen. Die inneren Bewegungen und Gedanken werden von Gesetzen nicht reglementiert. Es ergibt sich ein beschränkter Geltungsbereich der Gesetze. Die Gedanken sind frei.
In einer von Partikularinteressen geprägten Zivilisation kollidieren diese verschiedenen Positionen der Bürger und bedürfen – soll es eben keinen status naturalis geben, dem Naturzustand – einer autoritativen Klärung. Diese gesellschaftliche Funktion ist derart substanziell mit der Ordnung eines öffentlichen Gemeinwesens verbunden, dass beide sich reziprok bedingen: Ein Gemeinwesen ohne normative Grundstruktur ist ebenso wenig denkbar wie Normen ohne entsprechende Organisationsstruktur, in der sie festgelegt, durchgesetzt und überprüft werden können.
Der historische Anfang bleibt zwar zeitlich betrachtet unklar, doch mit den ersten dauerhaften Siedlungen in Mesopotamien und Ägypten wird sich die Notwendigkeit ergeben haben, diese sozialen Verhältnisse zu regeln. Anfänglich war die Schriftlichkeit der Normen wenig ausgeprägt, erst mit dem griechischen Reformer wurden um 650 v. Chr beispielsweise die Strafrechtsnormen schriftlich fixiert. Damit war ein entscheidender Schritt zur Rechtsstaatlichkeit beschritten: Die dem Gesetz unterworfenen Bürger konnten ex ante – im Voraus – die Rechtsfolgen einer Tat erkennen und waren nicht der Willkür der Richter ausgesetzt.
Ein anderer Gedanke betrifft den systematischen Ursprung der Gesetze. Wenn sich eine Gesellschaft zur Regulierung der Konflikte ihrer Bürger klar erkennbare Normen gibt, dann ist der argumentative Ursprung der Gesetze überhaupt zu klären. Daraus folgt eine Bestimmung des Gesetzesbegriffes. Wenn das Gesetz eben nicht nur eine Verfestigung eines bestimmten Interessenzustandes sein soll, wenn es mit anderen Worten dem berechtigten Ausgleich aller Bürger dienen soll, dann darf das Gesetz kein Instrument der Macht sein. Es muss sich in den Dienst des Gemeinwohls stellen. Damit rückt entsprechend die Frage nach einem gerechten Gemeinwohl in den Mittelpunkt der Untersuchung. Als dritte Frage ist ebenfalls das Menschenbild zu untersuchen. Menschen, als leibliche Lebewesen, suchen den Erhalt ihres Lebens. In einer von endlichen Ressourcen gekennzeichneten Welt bedeutet dies oft Verteilungskonflikte, die, wenn sie nur durch Instrumente und Strategien der Macht entschieden werden, ständig zu eskalieren drohen. Der Mensch zeichnet sich freilich auch durch seine Vernunft aus, die diese Konflikte erkennt und das wechselseitig destruktive Element des ständigen Konfliktes klären kann. Damit wurde folgende Grundbeschreibung skizziert:
Der Mensch ist ein grundsätzlich sozialen Wesen, nach Aristoteles ein zoon politikon. Die in einer realistischen Betrachtung sich ergebenden Konflikte bedürfen einer Lösung. Eine nach Gerechtigkeitsgedanken strukturierte Ordnung formuliert Gesetze und Verfahren, damit jeder Bürger über gleiche Rechte verfügt und ihre Verletzung vorbringen und klären kann.
Diese grundsätzlichen Gedanken wurden bereits von Marcus Tullius Cicero in seinem 51 v. Chr. erschienen Werk De Legibus diskutiert und ausgeführt. Damit zeigte Cicero beachtlichen Mut, denn zur Zeit des ersten Triumvirats von Caesar, Pompeius und Crassus war seine eigene politische Bedeutung gering und die dort ausgeführten Gedanken der philosophischen Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit konnten als mindestens indirekte Kritik an den politischen Verhältnisse verstanden werden.
Es sollen folgend die zentralen Aussagen von Cicero dargestellt und philosophisch diskutiert werden.
