Die bis zu dieser Stelle entwickelten Gedanken sollen – nach Cicero – als dem folgenden Gespräch vorausgeschickt gelten, ihre Grundaussage ist die Begründung des Rechts in der Natur. Dem stimmen Quintus und Atticus daher zu. Atticus fasst die Gedanken kurz zusammen: die Menschen seien von den Göttern mit Geschenken ausgestattet, die Menschen sind zum gemeinsamen Leben miteinander und zur Rücksichtnahme sowie Gemeinschaft des Rechts bestimmt. Dennoch stellt sich, für die systematische Weiterführung des Gesprächs notwendig, die Frage wie Gesetze und Rechtsnormen noch von der Natur getrennt seien, da sie doch in der Sache übereinstimmen.
Cicero räumt diese Diskrepanz an, verweist auf die Methoden der neuen Philosophen. Sie betrieben „Weisheitswerkstätten“, um diese Fragen in „strenger Gliederung“ abzuhandeln. (Vgl. Leg I, 41).
Dies verwirrt Atticus, der sich darüber wundert, ob nicht auch Cicero seine Unabhängigkeit in der Darstellung aufgegeben habe, um sich „fremden Autoritäten“ zu unterwerfen. Cicero geht es um die Erkenntnis fester argumentativer Grundlagen, der dann die „Festigung der Staaten, die Sicherung der Rechtsnormen und das Wohl der Völker“ folgen. Es sei illusorisch anzunehmen, dass jeder diesen Grundlagen zustimmen würde. Die Zustimmung könne man nur von denen erwarten, die einen weiteren argumentativen Schritt zu gehen bereit sind: Man müsse das Rechte und Anständige um seiner selbst willen als erstrebenswert erachten. Damit erfährt das Rechte und Anständige, und prinzipiell auch das Gute, eine normative Erhöhung, sie haben einen intrinsischen Eigenwert ohne Erwägungen der Nützlichkeit oder des Austausches. Die argumentative Grundlage des Rechts setzt also die Entscheidung voraus, dass das Gute an sich selbst gut ist und dies erkannt werden kann. Verschiedene philosophische Schule haben dies – laut Cicero – abgelehnt.
Daraus folgte für Cicero auch eine eigene Konzeption der strafrechtlichen Sanktionen. In der Strafrechtstheorie folgt auf die Verwirklichung eines Tatbestandes eine rechtliche Sanktion. Dies jedoch setzt – für Cicero – eben nicht notwendig ein Gerichtsurteil voraus, da es sie einstmals nicht gab oder sie auch falsch sein könnten. Diese Relativierung der Gerichtsurteile ist bemerkenswert, da Cicero selbst als Rechtsanwalt tätig war. Vielmehr können Strafen auch aufgrund des schlechten Gewissens die Täter verfolgen. Dies setzt wiederum das Wirken eines Rechtsbewusstseins vor. So kann nun Cicero formulieren: „ Wenn also nur die Strafe, aber nicht die natürliche Veranlagung die Menschen vom Unrechttun abhalten müßte, welche Angst würde die Übertäter noch quälen, sobald die Furcht vor Bestrafung wegfiele?“ (Leg I, 45).
Die Argumentation will die natürliche Veranlagung des Guten beweisen. Der, der das Recht nicht achtet, würde die formale Beachtung des Gesetzes nur aufgrund irgendeines Nutzens oder Gewinns machen. Für Cicero wäre dieser Mensch nur klug und nicht rechtschaffen: „Was wird er tun, wenn er einen Wehrlosen ganz allein an einer einsamen Stelle trifft, dem er viel Geld rauben kann?“ (Leg I, 45).
Seine Lösung, die nicht überrascht, lautet: Er wird diesem Menschen helfen aus dem Gefühl und der Verantwortung, aus der Achtung vor dem Gesetz und aus der Zugehörigkeit zur Rechtsgemeinschaft.
Mit einem argumentativen Sprung führt Cicero nun zu der zentralen Erkenntnis der römischen Rechtsphilosophie hin, die auch Gegenstand aktueller Verfassungsdiskussionen ist: Gesetze selbst können ungerecht sein. Cicero führt unmittelbar in die Diskussion ein, indem er Gesetze von Tyrannen erwähnt. Dies ist vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund beachtlich. Als die Dreißig in Athen den Bürgern Gesetze aufzwangen oder die Bürger die Gesetze mit Freude aufnahmen, war dies ein Kriterium dafür, dass sie gerecht waren? (Vgl. Leg I, 47). Cicero lehnt dies ebenso kategorisch ab wie das Recht des römischen Dictators Bürger ohne Verhör zu töten. Demgegenüber steht das einzige Recht, dem die menschliche Gemeinschaft verpflichtet sei: die richtige Vernunft. An der damit beschreibbaren Gerechtigkeit muss sich jedes staatliche Gesetz messen und bewerten lassen. Nicht die Nützlichkeit ist entscheidend, sie ist sogar verwirrend.
Cicero führt aus: „Folglich gibt es überhaupt keine Gerechtigkeit, wenn sie nicht von Natur aus vorhanden ist, und die Gerechtigkeit, die auf Nützlichkeit beruht, wird durch eben jene Nützlichkeit zunichte gemacht […]“ (Leg I, 49). Gerechtigkeit trägt ihren Wert in sich, sie ist gleichzeitig argumentativ bestimmbar, sie ist die richtige Vernunft. Die Vernunft bezieht sich selbst auf die Rechtsgemeinschaft aller Menschen. Sie ist daher eben kein Instrument partikularer Interessen. Nützlichkeit ist der Bezug einer Handlung auf eine Belohnung oder die Vermeidung einer Bestrafung, damit ist ein unzulässiger Außenbezug hergestellt. Gerechtigkeit ist jedoch ein innerer Bezug auf das Gute.
Alle positiven Verhaltensweisen der Menschen entspringen der Natur: Großzügigkeit, Liebe zur Heimat, Pflichtbewusstsein und die Bereitschaft, seinen Mitmenschen Gutes zu tun oder Dankbarkeit zu zeigen. (Vgl. Leg I, 49).
Ohne die natürliche Grundlage würden diese Verhaltensweisen und auch die Ehrfurcht vor den Göttern beseitigt werden. Die Verbindung zu den Göttern basiert jedoch nicht auf Furcht, sondern ist ein besonderes Band. Ein Recht, das auf der faktische Macht der Weisungen der Völker oder den Anordnungen der Verantwortlichen basieren würde, würde jedes gerechte Handeln unmöglich machen. Dabei lässt Cicero auch Mehrheitsentscheidungen nicht gelten: „[…] dann wäre es Recht zu rauben […] wenn dies nur durch Abstimmung und Beschlüsse einer Mehrheit gebilligt würde.“ (Leg I, 49).
Die Frage der Gerechtigkeit einer Handlung ist daher einer Mehrheitsentscheidung entzogen. Weder sie noch Nützlichkeitserwägungen können an die Stelle der Gerechtigkeit treten. Diese explizite Darstellung wendet sich gegen eine radikale Demokratie, die jede Frage durch Abstimmung entscheidet. Damit wird im Prinzip schon die Gewaltenteilung konzipiert. Das demokratische Merkmal der Wahl ist nicht universal und absolut zu verwenden. So werden aus rein rechtsphilosophischen Überlegungen heraus die Grundlagen zum Verfassungs- und Rechtsstaat gelegt.
