In diesem Ersten Buch diskutiert Marcus Tullius Cicero vor dem Hintergrund seines naturrechtlichen Ansatzes den Begriff des Rechts in philosophischer Absicht. Die Bezugnahme auf die naturrechtliche Theorie nimmt dabei im Kern die weitere Argumentation Ciceros vorweg: Denn die Grundannahme des Naturrechts lautet, dass bereits vor jeder Staatlichkeit eines Gemeinwesens jeder Mensch als Mensch unveräußerliche Rechte besitzt, die eben nicht auf die Zuteilung angewiesen sind. Vielmehr zeichnet es das Wesen des Menschen aus, als Vernunftwesen in sich diese Rechte vor dem Eintritt in den Staat zu besitzen. Sie sind ihm innewohnend, nicht zugeteilt und daher auch jeder staatlichen Verfügbarkeit entzogen. Dabei erweist sich die Vernunft des Menschen als entscheidend. Aus dem Begriff der Vernunft leiten sich systematisch die natürlichen Rechte ab. Wie die Vernunft selbst begründet ist, wird sich im Laufe der Darstellung zeigen. Die neuzeitliche Rechtsphilosophie greift diesen Gedanken in dem Begriff der überstaatlichen Menschenwürde auf. Die hier involvierten Gedanken zum Begriffe des Rechts werden im Ersten Buch von De Legibus systematisch in einem Dialog entwickelt. In einer kurzen Darstellung werden diese Argumente beispielsweise von Schmidt-Biggemann (2017:117 f) aufgeführt. An dieser Stelle sollen nun folgend die Gedanken und Argumente Ciceros vertieft betrachtet und erläutert werden. Es soll sich zeigen, dass die Ideen systematisch begründet sind und in ihrer Gesamtheit ein Weltbild der Freiheit konstituieren.
Teilnehmer des Gesprächs sind Titus Pomponius Atticus, der lebenslange Freund Ciceros und der Herausgeber seiner Schriften, Quintus Tullius Cicero, der jüngere Bruder von Cicero sowie Marcus Tullius Cicero. Ein Gespräch zwischen Atticus und Quintus beginnt den Dialog. Atticus, geboren in Rom, besucht Arpinium, die Heimatstadt von Cicero und Quintus. Dort erblickt Atticus die Eiche, die Cicero in seinem Werk Marius erwähnte. Quintus bejaht, dass eben diese die besagte Eiche wäre, aber er schreibt ihr auch eine besondere Eigenschaft zu: Durch ihre Erwähnung im Werk Marius bekäme sie ein besonders langes Leben: „Kein Bauer aber kann mit seiner Pflege einem Gewächs ein so langes Leben geben, wie es der Dichter mit seiner Verskunst vermag.“ (Leg. I, 7).
Dieser zunächst seltsam anmutende Gedanke erhält dann jedoch eine tiefere Bedeutung: Er führt hin zu der Frage, was Gegenstand der Erinnerung sein kann. Atticus richtet nun seine Frage an Cicero selbst: „Haben deine Verse diese Eiche erschaffen, oder hast du die Geschichte über Marius so gehört, wie du sie erzählst?“ (Leg. I, 9).
Cicero antwortet indirekt mit dem Verweis auf Romulus, der nach seinem Tode dem Iulius Proculus erschien und ihn aufforderte, ihm einen Tempel zu weihen. Atticus, von dieser Aussage sichtbar verwirrt, bittet um weitere Erklärung. Dies führt nun zu dem Gedanken der Wahrheit einer Darstellung. Cicero führt zwei Arten der Darstellung ein: Die eines Dichters und die eines Zeitzeugen. Quintus führt den Gedanken von Cicero dann fort: „Ich verstehe, mein Bruder, du meinst, man müsse in der Geschichtsschreibung andere Gesetze als in der Dichter berücksichtigen.“ (Leg. I, 9).
Dies bestätigt nun auch Cicero: Die Dichtung dient primär der Unterhaltung, die Geschichtsschreibung hingegen beabsichtigt die Darstellung der Wahrheit. Dabei wären jedoch auch gewisse Überschneidungen möglich. Damit ergeben sich grundlegend andere Absichten von Dichtung und Wissenschaft. Die Unterhaltung fokussiert auf das Publikum, nach deren Interessen sie sich ausrichtet. Ihre Absicht liegt in einem äußerlichen Bezug. Bei der Wissenschaft ist der Bezug hingegen auf die Darstellung der Sache selbst gerichtet, ernstgemeinte Geschichtswerke sind daher für äußere Einflüsse unempfindlich, sie lassen sich auf die Ereignisse selbst ein, deren Wahrheit sie darstellen wollen. Dies schließt im Übrigen nicht aus, dass der Prozess prinzipiell unabschließbar ist, denn jede partielle Wahrheit kann durch eine weitere ergänzt und vertieft werden. Mit der Kritik an der Dichtkunst stellt sich Cicero in die philosophische Tradition seit Platon, die die Dichtung für entweder verwirrend oder nutzlos erachtete. Beispielsweise Platon in der Politea: „Daher verlohnt es sich nicht, weder durch Ehre noch durch Geld noch durch Macht welcher Art immer, aber auch nicht durch Poesie sich hinreißen zu lassen, um die Gerechtigkeit sowie die übrige Gutheit zu mißachten.“ (Politea X, 608b). Die Gerechtigkeit und das Gute sind daher bedeutsamer als die Poesie.
Für die Darstellung des Dialogs ist jedoch damit der entscheidende Moment erreicht: Atticus kann, nach der Hinführung, seinen Wunsch äußern, dass man von Cicero ein Geschichtswerk fordere. Diese literarische Gattung stehe in Griechenland seit Thukydides und Polybios in Blühte. Hinter dieser Leistung bliebe Rom noch zurück. Dann appelliert Atticus an den römischen Gemeinsinn Ciceros, der zum einen die republikanische Verfassung durch die Aufdeckung der Verschwörung Catilinas in seinem Konsulatsjahr 63 v. Chr. gerettet habe, aber durch dieses Geschichtswerk diese sogar ehren würde: „In meinen Augen bist Du die Erfüllung dieser Aufgabe nicht nur deinen literarischen Bewunderern, sondern auch deinem Vaterland schuldig, damit es ebenso, wie es durch dich gerettet wurde, auch noch durch dich geehrt wird.“ Dies wird ergänzt durch die Aufzählung derjenigen römischen Autoren, die gleiches zwar versucht, aber stets unbeholfen oder dürftig geblieben sind. Sprachgewalt war zwar vorhanden, dies blieb aber oft ungeschliffen. (Leg. I, 11). Zwar legte der griechische Historiker Polybios, der als Gefangener nach Rom kam, in seiner Schrift Historien, insbesondere im 6. Buch, eine Interpretation des Aufstieges Roms zur Weltmacht vor, doch er war griechischer Geschichtsschreiber. Damit äußert sich ein gewisser Unmut über eine empfundene literarische Unterlegenheit. Diese Forderung an Cicero unterstützt nun auch Quintus mit der ergänzenden Frage, dass unklar sei, über welche Zeit man ein Geschichtswerk von Cicero verlange. Während Quintus die Behandlung der Zeit seit der Gründung der Stadt Roms wünsche, plädiert Atticus für eine Betonung ihrer Gegenwart, in die das Handeln seines Freundes Gnaeus Pompeius und in die das Jahr seines eigenen Konsulats falle, 63 v.Chr. In seinem politischen Leben hatte Cicero mit dem Konsulat als homo novus den Gipfel seiner Laufbahn erreicht.
Cicero stimmt dem Anliegen der Notwendigkeit eines Geschichtswerkes nun zu, gleichzeitig gibt er zu bedenken, dass dies erhebliche Vorarbeiten und einen Zustand der Ruhe voraussetze: „Beides ist unerläßlich: Von Sorgen und anderweitigen Beschäftigungen frei zu sein.“ (Leg. I, 15).
Dabei bemerkt er selbst, dass diese Art des Schreibens nicht unterbrochen werden dürfe, da es schwerer sei, den Faden wieder zu finden, als einmal Begonnenes in einem Zuge abzuschließen. (ebenda). Da er jedoch noch politisch aktiv sei, hoffe er auf mehr Mußezeit in einem späteren Alter, wenn er dann mehr Arbeitskraft auf dieses Vorhaben richten kann. (Leg. I, 17).
Dieser Teil des Gespräches endet nun mit dem Vorschlag des Atticus, dass Cicero nun in seinen Mußestunden etwas über diese Dinge erläutern solle. Außerdem möge er über das Zivilrecht schreiben. Er erinnert an die gemeinsame Ausbildung bei Scaevola, Jurist und 117 v.Chr Konsul. Cicero stimmt dem Vorhaben zu und macht den Vorschlag, dass sie zu ihrer Promenade gehen sollen und sie dort Punkt für Punkt dieser Fragen über das Zivilrecht erläutern können. ( Leg. I, 19). Atticus macht den Vorschlag, diesen Weg am Liris zu gehen, am Ufer im Schatten. Damit bekommt das Gespräch eine entsprechende Stimmung, in Bewegung werden die Gedanken entwickelt.
Das Gespräch von Atticus, Quintus und Cicero beginnt mit einer Reflexion über die verschiedenen Arten und Funktionen von Erinnerung. In einer unterhaltenden Art führt die Dichtung, wiewohl sie oft konkrete Ereignisse aufgreift, nicht zur Erkenntnis. Dies leistet hingegen eine an wissenschaftlichen Kriterien orientierte Geschichtsschreibung. Cicero wird aufgefordert, diese auch für Rom vorzulegen, da die bisherigen Versuche unzureichend gewesen wären. Er äußert die Absicht, eine Darstellung der gegenwärtigen Geschichte Roms zu verfassen. Er stimmt aber zu, nun über das Zivilrecht zu sprechen.
