Es ergab sich folgendes: Der vernunftbegabte Mensch hat aus und durch die Vernunft bereits das Gesetz des rechten Handelns ins sich. Die Staaten setzen dann positives Recht vor dem Hintergrund dieses philosophisch gesicherten Rechtbegriffes.

Die konkreten, geschichtlich gewachsenen Gesetze der Staaten erfüllen für Cicero eine soziale Funktion, wenngleich das Recht begrifflich eben nicht aus dieser Funktion abzuleiten ist. Gesetze wurde erlassen, um das Wohlergehen der Bürger zu fördern, die Unversehrtheiten der Bürgerschaften und ein ruhiges Leben der Menschen zu gewährleisten. (Vgl. Leg II, 83). Es ergab sich jedoch – mit dem Kriterium der Förderung des Glücks – gleichzeitig ein Merkmal, mit deren Hilfe Verordnungen zu allgemein verbindlichen Gesetzen wurden. Die Bürger mussten sie billigen, also anerkennen.  Cicero argumentiert an dieser Stelle offen geschichtlich aufgeklärt, denn er räumt ein, dass verderbliche und ungerechte Weisungen nicht nur theoretisch möglich, sondern auch wirklich gewesen sind. Diese Weisungen seien eindeutig keine Gesetze gewesen, sondern Anordnungen der Willkür.

In der Konsequenz bedeutet dies auch für die Qualität einer Bürgerschaft, dass eben beim Nichtvorhandensein überhaupt keine Bürgerschaft oder Staat vorhanden sei. Die Bürgerschaft setzt notwendig und zwingend eine Gesetzesordnung voraus, bei der jedes Gesetz der Idee der Gerechtigkeit entsprechen könnte. In der geschichtlichen Entwicklung sind die Zeiten des Rechts- und Verfassungsstaates seltene Erscheinungen, oftmals standen und stehen die Versuche einer vernunftgemäßen Ordnung vor einer äußeren Bedrohung. Dazu kommt die Neigung der Anhäufung von Macht in den Händen Einzelner. Herrschende Staaten neigen außerdem zur territorialen Ausdehnung und Hegemonie, auch diese Aspekte können vor dem Hintergrund der geschichtlichen Erfahrung kritisch gesehen werden. Mit dem Sieg im Dritten Punischen Krieg und der Ausschaltung Karthagos als machtpolitischer Konkurrent erreichte die Römische Republik einen Höhepunkt ihren räumlichen und politischen Dominanz, gleichwohl wurden hier bereits die Ursachen für die spätere Krise der Republik gelegt. Einzelne Persönlichkeiten konnten in ihrer Machtfülle den Rahmen der traditionellen Magistratsordnung sprengen. Verschiedene Aspekte können also benannt werden, die den Verfassungsstaat herausfordern. Nichtsdestotrotz gilt es auch die Zeiten der Blühte des Gesetzes zu benennen, als Beweis, dass diese Argumentation nicht unbegründet ist, und auch als Aufforderung, den Rechtsstaat anzustreben.

Ungerechte Gesetze haben für Cicero die Qualität der Vereinbarungen unter Räubern. Nicht jede Regelung oder Weisung überhaupt ist lobenswert, sondern nur diejenige, die hilft, das Gerechte vom Ungerechten zu unterscheiden.

Im Anschluss erinnert Cicero an Platon und dessen Wertschätzung der Gesetze: „Platon nahm sich diese Gesetzgeber offensichtlich zum Vorbild und vertrat die Überzeugung, daß es auch die Aufgabe eines Gesetzes sei, von etwas zu überzeugen und nicht alles mit Gewalt und Drohungen zu erzwingen.“ (Vgl. Leg II, 85).

Dies ergibt sich aus dem inneren Bezug des Menschen und seiner Vernunft zur inneren Struktur des Gesetzes. Der Mensch gehorcht dem guten Gesetz, weil es seiner eigenen Vernunft entspricht. Mit dem Aspekt des Wohlergehens ist darüberhinaus auch ein Sozialstaat möglich, der einräumt, dass die tatsächlichen Rahmenbedingungen des Lebens mit der Freiheit kompatibel sein müssen. Dies ist vor der Erfahrung der sozialen Unruhen in der Zeit Ciceros nachvollziehbar.

Marcus Tullius Cicero De Legibus – Zweites Buch – 3. Das Recht im Staat

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